Das Schicksal des Mädchens Nang
Gestern kam Nang, ein 20jahriges Mädchen, ins Dorf zurück. Sie war vor einem Jahr nach Bangkok gefahren, um dort etwas Geld zu verdienen. Sie ist gelernte Schneiderin, und in Roiet hatte sie dann keine Stelle gefunden. Viele glauben, in Bangkok ihr Glück machen zu können, dort soviel zu verdienen, dass sie der Familie etwas Geld schicken können. Aus unserem Dorf haben es bisher wenige versucht, denn der Dorfälteste ist erfahren. Er kennt Bangkok, hat als Regierungsangestellter lange Zeit dort gelebt und weiss um die Gefahren der Grossstadt. Er hat auch schon Aufkäufer aus Bangkok mit Waffengewalt aus dem Dorf gejagt. Aufkäufer besonders für junge Mädchen, die sie dort in den Fabriken als billige Arbeitskräfte benötigen, oder die sie in den Massagesalons und Bordellen unterbringen wollen. Er ist als Dorfältester nach dem Abt des Klosters die Anlaufstelle für private Sorgen, Vermittler in Streitigkeiten, Standesbeamter und Scheidungsrichter.
Nun hat er wieder ein Problem, denn Nang, das Mädchen aus Bangkok, ist schwanger, und sie hat keinen Mann. Ihre Familie hat ihr das Haus verboten. Ist doch selbst Händchenhalten in der Öffentlichkeit verpönt. Und nun gar dies! Ich habe mich heute morgen mit ihr unterhalten. Ich spreche zwar leidlich Thai, aber sie nicht, denn die Sprache hier ist ein Lao-Dialekt, den ich noch sehr wenig verstehe. So haben wir uns mit Englisch beholfen, und meine Frau hat mir da gedolmetscht, wo es nicht mehr weiterging. Ich habe sie nach ihren Erfahrungen ausgefragt, und sie vertraute mir nach einiger Zeit und gutem Zureden ihre Erlebnisse an.
Zuerst hatte sie wirklich eine Stelle bei einem Schneider in Bangkok, später in Pattaya. Dort sah sie, was die Mädchen aus den Bars verdienen konnten, in welch vermeintlichem Luxus sie leben. Das war doch etwas anderes als zuhause. Und sie dachte, ihrer Familie könne es doch egal sein, woher das Geld stammt, das sie nach Hause schickt.
Abends in die Kneipe galt es Maulhalten für die gemieteten Girls, die sollen sich im Bett austoben. Jetzt gibt’s erstmal Bier, ne flotte Skatrunde, Maulaffen feilhalten..:”Mensch, hat Deine auch so einen …?” und dabei einen bedeutungsvollen Klaps auf den Popo, gerade so, wie man einen Hund tätschelt.
Kaum einer war wirklich gut zu ihr, hat ihr auch mal das Frühstück bezahlt oder mal ein Tüchlein geschenkt. Wurde sie gerade nicht gebraucht, stellte man sie einfach in die Ecke. Verstanden hat sie erst keinen, später erst, als sie etwas Englisch gelernt hatte und Deutsch. Sich selbst verstand sie auch nicht mehr, aber sie konnte nicht mehr zurück. Die Stelle beim Schneider war weg, er wollte auch keine solche. Schulden hatte sie, die Zimmermiete, in der Bar, bei anderen Mädchen. Über einen Zuhälter wollte sie nicht reden; vielleicht hatte sie wirklich keinen. Doch jetzt, wo sie sichtbar schwanger ist, kann sie auch nicht mehr im Gewerbe arbeiten. Und so ruhte ihre ganze Hoffnung auf der Familie. Vergass sie wirklich, welche Schande sie über sich und die Familie gebracht hatte?
Vielleicht wird ihr der Abt, vielleicht der Dorfälteste helfen. Ich kann es nicht.
Eines ist gewiss, im Paradies lebe ich hier wirklich nicht.
Kurt Singer
geschrieben im Mai 1990 über einen Aufenthalt 1986