Es ist nichts passiert – eine Rückblende
Heute morgen war ich mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, der großen Hitze wegen mit nacktem Oberkörper, so wie die anderen auch. Mein Weg führte mich nach Baan Nong Yung, dem Nachbardorf. Dort hatte ich letztes Jahr meine Mönchszeit erlebt, 3 Monate, eine Zeit, die mich geprägt hat bis heute. Nun ist diese Prägung nicht etwa darauf hinausgelaufen, daß ich heute der frömmste aller Buddhisten bin. Nein, das geht anders. Es hat mir aber gezeigt, wie das Klosterleben sich auf mich ausgewirkt hat, auf meine Gedanken, mein Wesen.
Ich bin wieder ruhelos geworden, unruhig, wieder der, der nicht stundenlang irgendwo sitzen kann. Warum eigentlich nicht? Ich hatte es doch gekonnt, dreizehn Wochen lang Wat in Ban Nong Yung hatte ich nachgedacht, meditieren nennt man das wohl, habe Zwiesprache gehalten mit meinem inneren Ich. Nein, nicht mit dem Buddha, wie könnte ich das nach erst so kurzer Zeit.
Aber ich habe viel über mich erfahren können.
Unser Abt war ein alter, gütiger Mann, und er hatte mich ermuntert dazu, vor einigen Jahren schon. Nein, ließ er mich wissen, es ist nicht schlimm, wenn du nicht unsere Sprache sprechen kannst, und nein, es ist nicht schlimm, wenn du die Gebete zuerst nicht mitsprechen kannst. Darauf kommt es nicht an. Wir beten, und du denkst mit. Ich nannte es immer beten, das war für mich von Kindheit an das Wort für innere Einkehr. Fromm war ich nie, bin als Christ aufgewachsen. Ich habe nie bewußt Religion abgelehnt, aber schon als Kind war ich mir sicher, daß es etwas anderes geben mußte als das Auswendiglernen von Gebeten und das Dahersagen in der Kirche. Aber ich wußte nie, was das sein könne.
Heute kam ich wieder einmal vorbei. Djan, einer der älteren Mönche, winkte mir schon von weitem zu.
Ich hielt an und grüßte ihn. „Komm“, sagte er, „komm mit“. Er gab mir ein Tuch, um den Oberkörper zu bedecken, nahm mich bei der Hand und führte mich in den Wat. Eine eigenartige Stimmung herrschte, ich hörte keinen Vogel, es schien kein Laut von draußen herein zu dringen. Wir betraten die Wohnung des Abtes. Er lag, trotz der Hitze ganz mit Tüchern bedeckt, auf seiner Bodenmatte. Ihn grüßte ich besonders ehrerbietig, denn ich liebte ihn immer noch, verehrte ihn.
Er winkte mir zu, aufzustehen und näher zu treten. „Schön, dich noch einmal zu sehen. Ich habe es so gehofft, denn ich werde hinweggehen, bald. Wirst du mich in deiner Erinnerung behalten, so wie ich dich immer in meiner Erinnerung behalten habe?“ Ich stand wie versteinert, setzte an zu weinen und hielt es zurück. Sterben ist Teil des Lebens, und zwar der erstrebenswerte Teil. Was hat er mich gelehrt? Folge dem Erwachten, das ist das Ziel deines Lebens. Oh ja, viel mehr noch hat er mich gelehrt, er und die anderen Mönche, bis ich am letzten Tag meine erste und einzige Lehrrede halten durfte. Ich kann nicht deshalb weinen, weil er auf das Sterben wartet, auf sein Nirvana.
Ich sitze auf der Terrasse unseres Hauses, und lasse ihn, den Tag nämlich, Revue passieren.
Es ist nichts passiert. Und doch so viel.